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20 Foyer

Bauarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Foyer
Bauarbeiten auf dem Gelände des ehemaligen Foyer, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Foyer an der „Blauen Brücke“, um 1957
Foyer an der „Blauen Brücke“, um 1957, Foto: Alfred Göhner, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Das Foyer im Bau, 1955
Das Foyer im Bau, 1955, Foto: Alfred Göhner, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

20 Foyer

Friedrichstraße 12, 72072 Tübingen

Das Foyer diente der französischen Garnison seit 1955 als Restaurant, Kino und Hotel. Neben den einfachen französischen Soldaten kehrten auch viele Tübinger hier ein.

An der „Blauen Brücke“ entstand 1955 ein größerer Gebäudekomplex für die französische Garnison. Der Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit, für den sich in Tübingen bald der Name Foyer einbürgerte, war für eine Mischnutzung als Restaurant, Kino und Hotel mit 80 Betten vorgesehen. Als Garnisonsrestaurant übernahm es die Funktion des seit dem Einmarsch beschlagnahmten Hotels „Ochsen“, das sich damals an der Kreuzung von Friedrichstraße und Karlstraße befand und später dem Neubau des heutigen Modehauses Zinser weichen musste. Viele Jahre diente das Foyer als Kantine für die einfachen französischen Soldaten.

Zwar hatten nach der Eröffnung zunächst nur französische Militärangehörige Zutritt. Doch schon bald fragte niemand mehr danach, ob die Gäste einen Berechtigungsschein hatten oder nicht. Pünktlich um zwölf Uhr mittags öffnete der Wirt sein Restaurant. Neben französischen Soldaten kamen deutsche Verwaltungsmitarbeiter, Richter und Staatsanwälte ins Foyer, wo sie für wenig Geld in den Genuss französischer Küche und guten Weins kamen. In den 1980er Jahren waren die meisten Stammgäste Deutsche, ebenso die vor Ort rekrutierten Bedienungen und Putzkräfte. Ähnlich wie das Offizierskasino am Neckar wurde daher auch das Foyer zu einem Ort der interkulturellen Begegnung zwischen Tübingern und Franzosen.

Als die französischen Besatzer abzogen, begannen für das Gebäude wechselvolle Jahre. Viele Jahre lang stand das Foyer leer und wurde dadurch dem Verfall preisgegeben. Die auf dem angrenzenden Grundstück begonnenen Bauarbeiten für ein Kulturhaus mit Konzertsaal wurden nach dem Rückzug des Investors eingestellt. Von 2006 an wurden Erd- und Untergeschoss des Foyer als Diskothek genutzt. 2012 ließ die Stadt das Gebäude und die benachbarte Investitionsruine abreißen und verkaufte das Gelände. Den architektonischen Wert des vom Schwäbischen Tagblatt als eine „Kreuzung aus Eisdiele und Bahnhofwartehalle“ beschriebenen Foyer wussten die Tübinger zwar nicht zu schätzen. Als ein Ort des ungezwungenen Beisammenseins in „französischem“ Flair ist es dennoch vielen in positiver Erinnerung geblieben.

Fabian Raßmann/Ann-Cathrin Witte/Johannes Großmann

Weiterführend:
Annemarie Hopp/Bernd-Jürgen Warneken (Hg.): Feinde, Freunde, Fremde. Erinnerungen an die Tübinger „Franzosenzeit“, Tübingen (Kulturamt) 1995, S. 101–104.

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19 Casino

Casino am Neckar, Herbst 2015
Casino am Neckar, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Offizierskasino am Neckar, Mitte der 1950er Jahre
Offizierskasino am Neckar, Mitte der 1950er Jahre, zeitgenössische Farbpostkarte
oyer in der Friedrichstraße, Casino in der Wöhrdstraße mit Inneneinrichtung, zeitgenössische Farbpostkarte
„Cercle des Officiers Tübingen“: Foyer in der Friedrichstraße, Casino in der Wöhrdstraße mit Inneneinrichtung, zeitgenössische Farbpostkarte

19 Casino

Wöhrdstraße 25, 72072 Tübingen

Das Offizierskasino am Neckar wurde von den Besatzern übernommen. Es war ein Ort der interkulturellen Begegnung und der sozialen Distinktion.

An der Mündung der Steinlach in den Neckar wurde 1913 nach zehnmonatiger Bauzeit eine neue Offiziersspeiseanstalt eröffnet. Bis dahin hatte sich das Offizierslokal am Holzmarkt befunden. Für Tübingen war die Garnison seit der Errichtung der Infanteriekaserne an der Hegelstraße im Jahr 1875 zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Die Stadt übernahm daher drei Viertel der Baukosten von 60.000 Goldmark. 1927 wurde die Offiziersspeiseanstalt erstmals um einen Anbau erweitert.

Auch die französische Besatzungsmacht nutzte das Gebäude als Offizierskasino und für Repräsentationszwecke. Aus dieser Zeit stammt auch der 1954 fertiggestellte östliche Vorbau mit seiner breiten Fensterfront. Die prominent gelegene und exklusive Lokalität, die im Volksmund bald nur noch als Casino bezeichnet wurde, war gleichermaßen ein Ort der interkulturellen Begegnung und der sozialen Distinktion. Eine Einladung ins Casino galt als Privileg, in dessen Genuss nur wenige Tübinger kamen. Seit 1954 trafen sich französische Offiziersfrauen hier regelmäßig mit deutschen Damen aus höherem Hause zum Teekränzchen. Der Damenkreis organisierte im Casino außerdem Modenschauen, Ausstellungen und Abendveranstaltungen, zu denen dann auch die Ehegatten kamen. Die 1961 gegründete Deutsch-Französische Gesellschaft konnte auf diesen Kontakten aufbauen. Eine fremde Welt blieb das Casino hingegen für die normalen Tübinger Bürger und für die einfachen französischen Soldaten, die seit 1955 im nahegelegenen Foyer an der „Blauen Brücke“ einkehren konnten.

Nach 1991 wurde das baufällige Gebäude zunächst für unterschiedliche Zwecke und Veranstaltungen genutzt. Im Beisein einer Delegation aus der Partnerstadt Aix-en-Provence eröffneten städtische Vertreter hier im Oktober 1992 eine Maison d’Aix. Ein Teil der Räumlichkeiten wurde von einem indischen Restaurant gepachtet. 2006 wurde das Gebäude für 2,7 Millionen Euro saniert. Während das äußere Erscheinungsbild nahezu unverändert blieb, wurde das Interieur grundlegend modernisiert und umgestaltet. Heute ist das „Casino am Neckar“ ein beliebtes Restaurant mit gehobener Küche und Biergarten.

Ann-Cathrin Witte/Johannes Großmann

Weiterführend:
Michael Petersen: Das Wirtshaus am Neckar, in: Tübinger Blätter 94 (2008), S. 7–10.

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18 Rhenanenhaus

Rhenanenhaus, Herbst 2015
Rhenanenhaus, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Rhenanenhaus, Aufnahme vom März 1927
Rhenanenhaus, Aufnahme vom März 1927, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Abschiedsparade für Gouverneur Guillaume Widmer in der Wilhelmstraße, 30. Juni 1952
Abschiedsparade für Gouverneur Guillaume Widmer in der Wilhelmstraße, 30. Juni 1952, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

18 Rhenanenhaus

Stauffenbergstraße 4, 72074 Tübingen

Das Rhenanenhaus war von 1945 bis 1956 beschlagnahmt und diente unter anderem als Residenz des Militärgouverneurs von Württemberg-Hohenzollern.

Das Verbindungshaus des Corps Rhenania wurde 1885/86 im neugotischen Stil von Adolf Katz errichtet. Der repräsentative, hoch über dem Neckar auf dem Österberg gelegene Bau im Stil einer mittelalterlichen Burg wurde 1945 von der Besatzungsmacht beschlagnahmt. Bis 1952 diente es als Residenz des französischen Militärgouverneurs von Württemberg-Hohenzollern, Oberst Guillaume Widmer. Von der Höhe des Österbergs hatte er es nicht weit zum Justizgebäude in der Doblerstraße, wo sich der Sitz der französischen Militärregierung befand. Der französische Schriftsteller Michel Tournier, der seit 1946 in Tübingen studierte, beschrieb Widmer als „wahren König von Württemberg“, der einen feudalen Lebensstil zelebrierte und seine Gäste gerne zur Jagd in den Schönbuch lud. Sein „Schlösschen auf dem Österberg“ ließ Widmer für seine Bedürfnisse umbauen. Er richtete es sich geschmackvoll ein, unter anderem mit Möbeln aus den Schlössern Bebenhausen und Hohenzollern.

Auch nach Widmers Abschied von Tübingen wurde das Gebäude durch die französische Besatzungsmacht genutzt. Zunächst diente es unter dem Namen Maison de France als Unterkunft für französische Stipendiaten, später als Gästehaus und als Offizierskasino. Im Jahr 1956 erhielt das Corps Rhenania das Haus zurück. In den letzten Jahren der französischen Nutzung war es kaum noch instand gehalten worden. Erst nach umfangreichen Renovierungsarbeiten konnte es wieder seiner ursprünglichen Bestimmung als Verbindungshaus zugeführt werden.

Das Gebäude stand ursprünglich in der Staufenstraße, die im August 1945 zusammen mit über 70 anderen Tübinger Straßen umbenannt wurde. Als Stauffenbergstraße sollte sie fortan an Oberst Graf von Stauffenberg erinnern, der – so das Nachrichtenblatt der Militärregierung – „seine mutige Auflehnung gegen die widersinnige Kriegsverlängerung 1944 mit dem Tode büßen mußte“.

Bianca Hofmann/Lukas Kuhn

Weiterführend:
Udo Rauch/Antje Zacharias (Hg.): Sieben Jahre Landeshauptstadt. Tübingen und Württemberg-Hohenzollern 1945 bis 1952, Tübingen (Kulturamt) 2002, S. 29–31.

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Guillaume Widmer vor der Neuen Aula
Guillaume Widmer vor der Neuen Aula, Bildausschnitt, Bildrechte: Schwäbisches Tagblatt

Guillaume Widmer (1906–1968) war von 1945 bis 1952 französischer Gouverneur von Württemberg-Hohenzollern. Der frühere Bankier diente von 1939 bis 1941 in Indochina. Später war er im Widerstand gegen die deutsche Besatzung aktiv. Während seiner Amtszeit entwickelte sich Tübingen zum administrativen und kulturellen Zentrum von Württemberg-Hohenzollern. Seit 1954 war er Beamter im französischen Verteidigungsministerium. (F.R.)

Michel Tournier, Sommer 1946
Michel Tournier, Sommer 1946, Bildausschnitt, Foto aus dem Privatbesitz von Hellmut Waller

Michel Tournier (*1924) ist ein französischer Schriftsteller. Er kam nach dem Krieg als einer der ersten französischen Zivilisten nach Deutschland. Im Anschluss an einen Ferienkurs im Sommer 1946 studierte er mehrere Semester lang in Tübingen. Prägend für seinen Aufenthalt wurde die Freundschaft zu seinem späteren Übersetzer Hellmut Waller. Seine Erinnerungen an diese Zeit hat er festgehalten in dem autobiographischen Werk „Le vent Paraclet“. (J.F./F.R./M.O.)


 

17 Centre d’Études Françaises

Deutsch-Französisches Kulturinstitut Tübingen
Deutsch-Französisches Kulturinstitut Tübingen, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Centre d’Études Françaises, 1952
Centre d’Études Françaises, 1952, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Erster Standort des Centre d’Études Françaises im Normannenhaus
Erster Standort des Centre d’Études Françaises im Normannenhaus (Stauffenbergstraße 21), zur Zeit der Aufnahme diente das Haus als Bräuteschule der NS-Frauenschaft und des Deutsches Frauenwerks, Postkarte der Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg

17 Centre d’Études Françaises

Doblerstraße 25, 72074 Tübingen

Im Centre d’Études Françaises konnten die Tübinger Französisch lernen, Vorträge besuchen und französische Bücher lesen.

Ein besonders nachhaltiges Resultat der französischen Kulturpolitik in Tübingen war das Centre d’Études Françaises, das am 4. November 1946 zunächst als Zweigstelle des Freiburger Institut Français en Allemagne gegründet wurde. Unter der Leitung seines ersten Direktors Émile Callot organisierte das Centre d’Études Françaises ein ambitioniertes Kulturprogramm im beschlagnahmten Verbindungshaus der Normannia in der Stauffenbergstraße 21. Die Tübinger Bevölkerung interessierte sich vor allem für die Französischkurse, die von jungen französischen Geisteswissenschaftlern auf drei verschiedenen Niveaustufen angeboten wurden. Bereits im ersten Wintersemester 1946/47 schrieben sich rund 300 Sprachschüler ein. Herzstück der Einrichtung war eine große Bibliothek mit zwei Leseräumen. Ein- bis zweimal im Monat referieren namhafte französische Gastredner in Abendvorträgen zu Themen aus Literatur, Theater, Philosophie und Kunst.

Der akademische Anspruch nahm unter dem neuen Direktor René Cheval seit Oktober 1948 weiter zu. Cheval erwirkte eine enge Bindung an die Universität und das Romanische Seminar. Bald darauf erhielt das Centre d’Études Françaises jedoch Konkurrenz durch die Gründung eines französischen Kulturinstituts in Stuttgart, das aufgrund seiner Lage bald von der französischen Militärregierung bevorzugt wurde. Das Centre d’Études Françaises musste seinen gesamten Bibliotheksbestand nach Stuttgart abgeben. Zwar konnte die drohende Auflösung vermieden werden. Doch musste der Betrieb in Tübingen von nun an mit deutlich geringeren finanziellen Mitteln am Laufen gehalten werden. Auch aus diesem Grund zog das Institut zum 1. Juli 1952 in das ehemalige Prinzenpalais in der Doblerstraße 25.

Seither engagierte sich das Centre d’Études Françaises besonders für eine zivilgesellschaftliche Annäherung von Deutschen und Franzosen. Es beteiligte sich aktiv am kulturellen Leben der Stadt und unterstützte die 1960 besiegelte Partnerschaft zwischen Tübingen und Aix-en-Provence. Als die französische Botschaft ihre jährliche Subvention kürzte, übernahm die Tübinger Stadtverwaltung 1961 kurzerhand die Hälfte der Finanzierung. Als Institut Culturel Franco-Allemand ist es bis heute ein aktiver Vermittler französischer Kultur in Tübingen geblieben.

Ann-Cathrin Witte/Matthieu Osmont

Weiterführend:
Stefan Zauner: Gründung und Anfänge des Französischen Kulturinstituts in Tübingen (1946–1951), in: Franz Knipping/Jacques Le Rider (Hg.): Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland, 1945–1950. Ein Tübinger Symposium, Tübingen (Attempto) 1985, S. 265–274.

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René Cheval, 1946
René Cheval, 1946, Bildausschnitt, Foto: Rotophot, Bildrechte: Stadtarchiv Reutlingen

René Cheval (1918–1986) war ein französischer Germanist. 1945 kam er im Alter von nur 26 Jahren nach Tübingen. Als Verbindungsoffizier kümmerte er sich um die Entnazifizierung der Universität und sorgte für die Wiederbelebung des akademischen Austauschs. Als Leiter des Centre d’Études Françaises kooperierte er seit 1948 eng mit dem Romanischen Seminar der Universität. 1951 wurde er erster Leiter Institut Français in Stuttgart. (M.O./F.R.)


16 Justizgebäude

Justizgebäude in der Doblerstraße
Justizgebäude in der Doblerstraße, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Justizgebäude in der Doblerstraße, vor 1957
Justizgebäude in der Doblerstraße, vor 1957, Foto: Alfred Göhner, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Sitz der Staatsregierung im ehemaligen Deutschen Institut für Ärztliche Mission, Nauklerstraße 47, Scan aus einem Album der Stadt Tübingen für Viktor Renner, ca. 1952, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Sitz der Staatsregierung im ehemaligen Deutschen Institut für Ärztliche Mission, Nauklerstraße 47, Scan aus einem Album der Stadt Tübingen für Viktor Renner, ca. 1952, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

16 Justizgebäude

Doblerstraße 14, 72074 Tübingen

Das Justizgebäude war Sitz der französischen Militärregierung. Hier wurde 1946 das Staatssekretariat für Württemberg-Hohenzollern eingesetzt.

Das Tübinger Justizgebäude wurde nach Plänen von Albert Berger zwischen 1902 und 1905 im Stil der Neorenaissance erbaut. Seine Bedeutung als Ort der Rechtsprechung und der Repräsentation war nur einer der Gründe, weshalb die Franzosen den eindrucksvollen Bau im September 1945 zum Sitz der Militärregierung umfunktionierten. Tatsächlich waren vor allem praktische Erwägungen ausschlaggebend. So hatte sich die französische Militärregierung nach der Übergabe Stuttgarts an die US-Armee im Juli 1945 zunächst in Freudenstadt niedergelassen, das jedoch stark kriegsbeschädigt war und kaum geeignete Räumlichkeiten bot. Die Wahl fiel daher letztlich auf Tübingen, das mit seiner nahezu unbeschädigten Infrastruktur und seinen Verwaltungsbauten besonders geeignet erschien. Viele deutsche Einrichtungen mussten sich hingegen eine neue Bleibe suchen. So wurden das Amts- und das Landgericht vom Justizgebäude in die Neue Aula umgesiedelt.

Die angespannte räumliche Situation in Tübingen verschärfte sich, als am 16. Oktober 1945 im Schwurgerichtssaal des Justizgebäudes eine erste zentrale Landesverwaltung eingesetzt wurde. Deren Benennung als „Staatssekretariat für das französisch besetzte Gebiet von Württemberg und Hohenzollern“ ließ keinen Zweifel daran, dass die deutschen Beamten lediglich die Befehle der Besatzungsmacht auszuführen hatten. Dennoch wurden damit auch die Grundlagen für eine künftige Selbstverwaltung Württemberg-Hohenzollerns geschaffen. An der Spitze des Staatssekretariats stand Carlo Schmid. Er wirkte außerdem als „Landesdirektor für Justiz sowie für Kult, Kunst und Erziehung“ an der Umsetzung und Ausgestaltung der französischen Richtlinien mit. Das Staatssekretariat zog in die Nauklerstraße 47. Das Justizgebäude an der nach dem „Retter Tübingens“ benannten Doblerstraße (ehemals: Kaiserstraße) konnte erst im November 1956 wieder vollständig von der deutschen Verwaltung in Besitz genommen werden.

Yannick Lengkeek

Weiterführend:
Wilfried Schöntag: Das Land Württemberg-Hohenzollern 1945–1952, in: Hansmartin Schwarzmaier/Meinrad Schaab (Hg.): Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 4: Die Länder seit 1918, Stuttgart (Klett-Cotta) 2003, S. 441–476.

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Carlo Schmid als Wahlkämpfer
Carlo Schmid als Wahlkämpfer, Foto aus dem Privatbesitz von Martin Schmid

Carlo Schmid (1896–1976) war einer der einflussreichsten politischen Akteure der Tübinger Nachkriegszeit. Der in Frankreich geborene Jurist gehörte der Demokratischen Vereinigung an und drängte auf eine Entnazifizierung von Universität und Verwaltung. Im Dezember 1946 wurde der SPD-Politiker Landesdirektor für Justiz und Präsident des Staatssekretariats von Württemberg-Hohenzollern. Er gilt als einer der „Väter“ des Grundgesetzes. (C.M./F.R./J.G.)

Theodor Dobler
Theodor Dobler

Theodor Dobler (1893–1973) war Sanitätsarzt in Tübingen. Zusammen mit einigen Mitstreitern verweigerte er sich dem Aufruf zum unbedingten Widerstand. Er war daher maßgeblich daran beteiligt, dass Tübingen unzerstört blieb und kampflos an die französische Armee übergeben wurde. Bereits 1945 wurde eine Straße auf dem Österberg nach ihm benannt. Seit 1946 leitete er das Versorgungskrankenhaus auf dem Sand. (F.R.)


15 Krankenhaus auf dem Sand

Ehemaliges Krankenhaus auf dem Sand
Ehemaliges Krankenhaus auf dem Sand, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Krankenhaus auf dem Sand, Blick vom Österberg
Krankenhaus auf dem Sand, Blick vom Österberg, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Rumänisch-Orthodoxe Kirche „St. Georg
Rumänisch-Orthodoxe Kirche „St. Georg“, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte

15 Krankenhaus auf dem Sand

Drosselweg 10, 72076 Tübingen

Das ehemalige Standortlazarett der Wehrmacht auf dem Sand wurde bis 1982 als französisches Militärkrankenhaus genutzt.

Im Rahmen der verdeckten Kriegsvorbereitung baute die Wehrmacht von 1937 bis 1940 ein Standortlazarett auf dem Sand (am Denzenberg) in Tübingen-Lustnau. Der langgestreckte gelbe Bau nach Plänen von Regierungsbaumeister Hans Herkommer prägte mit seiner prominenten Lage das Stadtbild Tübingens. Im Zweiten Weltkrieg war das Lazarett Wirkungsstätte von Theodor Dobler. Der später als „Retter der Stadt Tübingen“ geehrte Dobler arbeitete unter widrigen Umständen in dem völlig überfüllten Krankenhaus.

Nach Kriegsende richtete die französische Besatzungsarmee ihrerseits ein Lazarett in dem modernen Krankenhaus ein, das Hôpital Émile Roux. Am 10. März 1946 nahm hier außerdem das Versorgungskrankenhaus für Schwerkriegsbeschädigte unter der Leitung von Dobler seinen Betrieb auf. In der Behandlung von Hirnverletzten wurde es bundesweit führend. Die Franzosen benutzten den vom Tal aus gesehen linken Gebäudeflügel, die Deutschen den rechten. In unmittelbarer Nähe entstand in den 1950er Jahren die Eberhard-Wildermuth-Siedlung für „Heimatvertriebene“ und Tübinger, deren Gebäude von den Franzosen beschlagnahmt worden waren.

Als das französische Krankenhaus 1982 aufgegeben wurde, zog die Bundeswehr auf den Sand. 1986 wurde das Versorgungskrankenhaus endgültig geschlossen. Seit 1990 ist hier ein Teil des Wilhelm-Schickard-Instituts für Informatik der Universität Tübingen untergebracht. Inzwischen beherbergt das Gebäude auch die Astronomie und das Institut für Kriminologie. Die 1946 erbaute Krankenhauskapelle wird von der Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde St. Georg als Gotteshaus genutzt.

Jonathan Schilling

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Dobler
Dobler

Theodor Dobler (1893–1973) war Sanitätsarzt in Tübingen. Zusammen mit einigen Mitstreitern verweigerte er sich dem Aufruf zum unbedingten Widerstand. Er war daher maßgeblich daran beteiligt, dass Tübingen unzerstört blieb und kampflos an die französische Armee übergeben wurde. Bereits 1945 wurde eine Straße auf dem Österberg nach ihm benannt. Seit 1946 leitete er das Versorgungskrankenhaus auf dem Sand. (F.R.)


14 Leibniz-Kolleg

Leibniz-Kolleg, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Leibniz-Kolleg, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Studierende im Leibniz-Kolleg, 1954, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Studierende im Leibniz-Kolleg, 1954, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Ehemalige Deutsche Burse, seit 1948 Leibniz-Kolleg
Ehemalige Deutsche Burse, seit 1948 Leibniz-Kolleg, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

14 Leibniz-Kolleg

Brunnenstraße 34, 72074 Tübingen

Das Leibniz-Kolleg bereitete begabte Schulabgänger auf ein Studium vor. Es folgte einem Grundprinzip französischer Umerziehungspolitik: Demokratisierung durch Bildung.

Das Leibniz-Kolleg entstand 1948 als ein interdisziplinär ausgerichtetes Internat. Es bezog die 1928 von Paul Schmitthenner als Wohnheim für „auslandsdeutsche Studenten“ erbaute Deutsche Burse. Heute bietet das Leibniz-Kolleg unentschlossenen Schulabgängern mit einem einjährigen Studienprogramm Einblicke in verschiedene Studienfächer. Diese Idee entstand aber erst Anfang der 1950er Jahre. In den ersten Jahren hatte das Kolleg eine andere Aufgabe: Wer noch nicht zur Immatrikulation zugelassen worden war, aber trotzdem herausragende Fähigkeiten zeigte, konnte hier seinen geistigen Horizont erweitern und sich auf ein Fachstudium vorbereiten.

Die französische Militärregierung unterstützte die Einrichtung des Kollegs, die sie als eine Antwort auf das Versagen von Bildung und Wissenschaft im Nationalsozialismus verstand. So zielten die Lehrveranstaltungen und die selbstverwaltete Organisationsform des Hauses darauf, junge Menschen zum selbständigen Denken zu erziehen und ihnen Werte wie Demokratie, Toleranz, Freiheit, Mut zur Meinungsäußerung und Zivilcourage zu vermitteln. Als Instrument der Umerziehung sollte das Kolleg damit direkt in die Universität hineinwirken und zur Entstehung einer neuen intellektuellen und politischen Führungsschicht in Deutschland beitragen, die für eine Verständigung mit Frankreich eintrat.

In der Nachkriegszeit entstanden vergleichbare Einrichtungen in anderen deutschen Städten, so zum Beispiel das Collegium Academicum in Heidelberg. Doch trotz seiner Ausgliederung aus dem Universitätsverband 1972 ist das Tübinger Leibniz-Kolleg als einzige dieser Einrichtungen bis heute erhalten geblieben.

Andreea Minca

Weiterführend:
Michael Behal (Hg.): Studium generale, studium sociale. Das Leibniz-Kolleg 1948–1998, Tübingen (Leibniz-Kolleg) 1998.

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13 Kreiskommandantur

Wilhelmstraße 24
Wilhelmstraße 24, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Kreiskommandantur der französischen Militärregierung, Wilhelmstraße 24, Oktober 1945
Kreiskommandantur der französischen Militärregierung, Wilhelmstraße 24, Oktober 1945, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Kreisleitung der NSDAP, Wilhelmstraße 24
Mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Kreisleitung der NSDAP, Wilhelmstraße 24, Foto: Eugen Rühle, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

13 Kreiskommandantur

Wilhelmstraße 24, 72074 Tübingen

Das ehemalige Domizil der NSDAP-Kreisleitung wurde zum Sitz des französischen Militärgouverneurs für den Landkreis Tübingen.

Bis April 1945 beherbergte das Gebäude in der Wilhelmstraße 24 die Kreisleitung der NSDAP. Während der Besatzungszeit diente es als Sitz der französischen Kreiskommandantur. Die Militärregierung beabsichtigte eine strenge Kontrolle der deutschen Behörden, auch auf den unteren Verwaltungsebenen. Die wichtigste Kontrollebene für die Militärbehörden waren die Landkreise. Besondere Bedeutung fiel deshalb den Kreisgouverneuren (Délégués du cercle) zu. Deren Aufgabe war vor allem die Kontrolle der deutschen Landräte. Sie sammelten Informationen, beobachteten die Stimmung innerhalb der deutschen Bevölkerung und kümmerten sich darum, dass die Anweisungen der Militärregierung umgesetzt wurden. Außerdem erfüllten sie repräsentative Funktionen, besuchten Sitzungen kommunaler Gremien und nahmen am gesellschaftlichen Leben teil. Durch ihren ständigen Kontakt mit deutschen Vertretern und Instanzen entwickelten die Kreisgouverneure oft ein besonders gutes Verständnis für die drängenden Probleme der einheimischen Bevölkerung. Häufig setzten sie sich bei den übergeordneten Dienststellen für lokale Interessen ein und wiesen mit Nachdruck auf Probleme und Fehlentwicklungen hin. Ihr Einsatz wurde daher in der Regel auch von deutscher Seite anerkannt und geschätzt. So leisteten die Kreisgouverneure durch ihre Vermittlerrolle einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen Franzosen und Deutschen.

Das Amt des Kreisgouverneurs von Tübingen wurde mehrfach neu besetzt. Am längsten blieb Colonel Henri Brochu, der von August 1947 bis Dezember 1950 amtierte. Zu seinem Abschied schrieb das Schwäbische Tagblatt: „Er scheidet als Freund“. Mit dem Ende des Besatzungsstatuts endete auch die Arbeit der Kreisgouverneure. In der Wilhelmstraße 24 befindet sich heute das Ordnungsamt der Stadt Tübingen.

Lukas Kuhn

Weiterführend:
Wolfgang Sannwald: Trikolore, Kreisgouverneur und kahle Wälder. Die französische Militärverwaltung und der Landkreis Tübingen, in: ders. (Hg.): Persilschein, Käferkauf und Ab-schlachtprämie. Von Besatzern, Wirtschaftswunder und Reformen im Landkreis Tübingen, Tübingen (Verlag Schwäbisches Tagblatt) 1998, S. 41–60.

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Henri Brochu, um 1950
Henri Brochu, um 1950, Bildausschnitt, Foto: Alfred Göhner, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

Henri Brochu war von 1947 bis 1950 Gouverneur des Landkreises Tübingen. Er pflegte guten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung und setzte sich für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit ein. Sein entschlossenes Handeln während der Hungerkrise von 1947 brachte ihm besondere Anerkennung. (F.R./P.H.)

12 Kunstgebäude

Alte Archäologie
Alte Archäologie, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Eingang des Tübinger Kunstgebäudes in der Wilhelmstraße, 1946
Eingang des Tübinger Kunstgebäudes in der Wilhelmstraße, 1946, Foto: Carl Näher, Bildrechte: Stadtarchiv Reutlingen
Plakat für die Ausstellung „Chefs d’Œuvre Retrouvés“
Plakat für die Ausstellung „Chefs d’Œuvre Retrouvés“ im Kunstgebäude, 22. September bis 1. Dezember 1946, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

12 Kunstgebäude

Wilhelmstraße 9, 72074 Tübingen

Das Kunstgebäude in der ehemaligen Antiken-Sammlung war in den Nachkriegsjahren ein kulturpolitisches Schaufenster der französischen Besatzungsmacht.

Der klassizistische Bau der Alten Archäologie wurde gemeinsam mit der Neuen Aula geplant und 1846 fertiggestellt. Seit den 1870er Jahren wurde das Gebäude mehrfach umgebaut und erweitert. Vor dem Zweiten Weltkrieg beherbergte es das Hygiene-Institut und die Antiken-Sammlung des Archäologischen Instituts. In den Kellerräumen wurden während des Krieges polnische, russische und wohl auch einige französische Zwangsarbeiter gefangen gehalten.

Nach dem Krieg war dieser Ort für kurze Zeit ein Leuchtturm der bildenden Künste. Von Herbst 1945 bis Frühjahr 1949 wurden im sogenannten Tübinger Kunstgebäude insgesamt 23 Ausstellungen präsentiert, zu denen etwa 110.000 Besucher kamen. Sie sahen die erste Otto-Dix-Ausstellung in Deutschland seit 1930 und eine Gesamtschau wichtiger deutscher Vertreter der klassischen Moderne. Die sechsmonatige Ausstellung „Meisterwerke aus den Kölner Museen und der Württembergischen Staatsgalerie Stuttgart“ war mit 42.000 Besuchern der größte Publikumserfolg. Sie wurde dadurch möglich, dass viele der Exponate aus neun Jahrhunderten Kunstgeschichte zum Schutz vor Kriegsschäden nach Südwürttemberg ausgelagert worden waren. Neben dem Theater, dem Kino und der Musik wurde somit auch die bildende Kunst zu einem Schwerpunkt französischer Kulturpolitik in Tübingen. Die Kunsthalle und ihr Kurator Gustav Adolf Rieth verfolgten auch ein pädagogisches Ziel. Sie wollten den Deutschen vor allem jene Kunst nahebringen, die zuvor von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt worden war. Wie erfolgreich diese Bemühungen waren, ist schwer zu sagen. Nicht wenige Besucher dürften von den gezeigten Werken überfordert gewesen sein.

Das Kunstgebäude schloss seine Türen im Mai 1949. Ambitionierte Pläne für eine Staatsgalerie in Tübingen waren gescheitert. Durch die Währungsreform war das Geld knapper geworden. Die Besucherzahlen gingen stark zurück. Außerdem forderte die Universität das Gebäude mit wachsender Vehemenz für das Archäologische Institut zurück. Erst seit 1971 sollte es mit der Kunsthalle wieder einen festen Ausstellungsort für bildende Kunst in Tübingen geben. Die Alte Archäologie beherbergt heute Seminarräume und Verwaltungseinrichtungen der Universität.

Lukas Kuhn

Weiterführend:
Edgar Lersch: Das Kulturleben in der Stadt Tübingen vom Zusammenbruch bis zur Währungsreform (1945–1948), in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 43 (1984), S. 327–354.


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