23 Centre de Repatriement

Schellingstraße 9–11, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Schellingstraße 9–11, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Schellingstraße 9–11, nach Ende der Nutzung als französische Garnisonswäscherei, 1987, Foto: Feist, Bildrechte: Landesdenkmalamt Tübingen
Schellingstraße 9–11, nach Ende der Nutzung als französische Garnisonswäscherei, 1987, Foto und Bildrechte: Joachim Feist
Befreite polnische Zwangsarbeiter
Befreite polnische Zwangsarbeiter werden vor der Thiepval-Kaserne zu Hilfspolizisten und Wachleuten ausgebildet, Foto: Neumann, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

23 Centre de Rapatriement

Schellingstraße 9, 72072 Tübingen

Das Centre de Rapatriement kümmerte sich um die Versorgung, Betreuung und Heimkehr ehemaliger „Zivilarbeiter“ und Gefangener.

Beim Einmarsch in Deutschland trafen die Alliierten nicht nur auf einheimische Bevölkerung. Denn während des Krieges waren Millionen von Gefangenen und „Zivilarbeitern“ aus ganz Europa nach Deutschland verschleppt worden. Viele von ihnen konnten und wollten nach Kriegsende nicht in ihre Heimat zurückkehren, da ihnen dort ethnische Diskriminierung oder politische Verfolgung drohten. Auch in Tübingen stellte der Umgang mit den sogenannten Displaced Persons eine große Herausforderung dar. Schon im Herbst 1939 waren die ersten polnischen Kriegsgefangenen nach Tübingen gekommen. Im April 1945 gab es in der Stadt 1.610, im gesamten Landkreis an die 6.000 Zwangsarbeiter – vornehmlich aus Polen, Frankreich und der Sowjetunion. Vor allem in den ersten Tagen nach der Befreiung beteiligten sich einige von ihnen an Plünderungen und Ausschreitungen gegen die einheimische Bevölkerung. Andererseits wurden gerade die schutzlosen Zwangsarbeiterinnen häufig zu Opfern sexueller Gewalt durch Besatzungssoldaten.

Die Militärregierung reagierte mit verschiedenen Maßnahmen. Sie rekrutierte ehemalige Zwangsarbeiter als Hilfspolizisten und Wachpersonal. Hinter der Thiepval-Kaserne in der Schellingstraße 9 eröffnete ein Centre de Rapatriement. Registrierte Ausländer erhielten hier täglich drei Mahlzeiten. Es gab Ausstellungs- und Veranstaltungsräume. In den ersten Monaten konnten viele Displaced Persons in ihre Heimat überführt werden. Seit September 1945 gingen die Repatriierungszahlen jedoch stark zurück. Das Centre de Rapatriement konzentrierte sich seither auf die Umschulung und Überführung „heimatloser Ausländer“ in reguläre Arbeitsverhältnisse. Im April 1946 wurde es in die Wilhelmstraße 97 verlegt, wo es in erster Linie Passierscheine ausstellte und Arbeitsangebote vermittelte. Im September 1948 hielten sich immerhin noch gut 800 Displaced Persons im Landkreis Tübingen auf. Die meisten von ihnen waren Litauer, Letten, Esten und Ukrainer, die in der Sowjetunion keine Zukunft für sich sahen.

Das Gebäude in der Schellingstraße 9–11 diente anschließend viele Jahre lang als Wäscherei der französischen Garnison. Nach seiner Rückgabe wurde es Ende der 1980er Jahre umgebaut und beherbergte bis 2013 die Landespolizei.

Johannes Großmann/Ann-Cathrin Witte

Weiterführend:
Dorothée Guillemarre: Vom Zwangsarbeiter zum „Heimatlosen Ausländer“. Displaced Persons im Landkreis Tübingen nach 1945, in: Wolfgang Sannwald (Hg.): Persilschein, Käferkauf und Abschlachtprämie. Von Besatzern, Wirtschaftswunder und Reformen im Landkreis Tübingen, Tübingen (Verlag Schwäbisches Tagblatt) 1998, S. 124–132.

Filtern nach