11 Neue Aula
Geschwister-Scholl-Platz, 72074 Tübingen
Die Neue Aula war Mittelpunkt des seit Oktober 1945 wiedererwachten akademischen Lebens. Sie wurde auch von der Besatzungsverwaltung und als Gerichtsgebäude genutzt.
Als eine der ersten deutschen Hochschulen wurde die Universität Tübingen am 15. Oktober 1945 wiedereröffnet. In seiner Ansprache im Festsaal der Neuen Aula erinnerte Gouverneur Guillaume Widmer an die Verfehlungen der Wissenschaft im Nationalsozialismus. Gleichzeitig wies er den anwesenden Professoren und Dozenten eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Aufgabe zu: „Die Welt hat an einer eigentümlichen Krankheit gelitten, an einer Seuche, die es zu heilen gilt. Das ist die Aufgabe, meine Herren, die Sie jetzt übernehmen. […] Das demokratische Ideal lässt sich nicht ohne Erziehung verwirklichen. Hier ist es wiederum die Universität, die die Führerin der Suchenden sein soll.“
Über 3.000 Studierende waren im ersten Nachkriegssemester immatrikuliert. Tausende Bewerber wurden abgewiesen. Nur ein Teil der alten Universitätsgebäude stand zur Verfügung. Die Institutsbibliotheken waren ausgelagert. Im Zuge der Entnazifizierung hatten 30 Dozenten ihre Lehrbefugnis verloren. Andere waren im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten. Mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Militärregierung und ihres Verbindungsoffiziers René Cheval konnten bald einige berühmte neue Professoren gewonnen werden, unter ihnen der Religionsphilosoph Romano Guardini, der Theologe Helmuth Thielicke, der Biochemiker Adolf Butenandt und der Pädagoge Eduard Spranger.
Die Neue Aula war der Mittelpunkt des wiedererwachten akademischen Lebens. Im November 1945 sorgte der Theologe Karl Barth hier für Aufsehen, als er in einem Vortrag auf die kollektive Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus hinwies. Dank der kostenlosen „Hoover-Speisung“ konnten die Studierenden in der Neuen Aula allerdings nicht nur ihren geistigen, sondern auch ihren leiblichen Hunger stillen. Auch für die Stadt Tübingen und das Land Württemberg-Hohenzollern war das Gebäude wichtig: In den Senatsräumen besprachen sich die Vertreter der Militärregierung. Ab Juni 1946 tagten hier außerdem das Oberlandesgericht und der Landesrechnungshof, da das Justizgebäude von den Besatzungsbehörden genutzt wurde.
Zusammen mit mehr als 70 anderen Straßen in Tübingen erhielt auch der Platz vor der Neuen Aula im August 1945 einen neuen Namen: Als „Schollplatz“ (später: Geschwister-Scholl-Platz) sollte er den damals kaum bekannten Widerstand der „Weißen Rose“ würdigen und den Tübinger Studenten ein Vorbild für Zivilcourage und demokratisches Bewusstsein aufzeigen.
Jonathan Schilling/Johannes Großmann
Weiterführend:
Manfred Schmid/Volker Schäfer (Bearb.): Wiedergeburt des Geistes. Die Universität Tübingen im Jahre 1945, Tübingen (Universitätsarchiv) 1985.