Archiv der Kategorie: Universitätsstadt

15 Krankenhaus auf dem Sand

Ehemaliges Krankenhaus auf dem Sand
Ehemaliges Krankenhaus auf dem Sand, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Krankenhaus auf dem Sand, Blick vom Österberg
Krankenhaus auf dem Sand, Blick vom Österberg, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Rumänisch-Orthodoxe Kirche „St. Georg
Rumänisch-Orthodoxe Kirche „St. Georg“, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte

15 Krankenhaus auf dem Sand

Drosselweg 10, 72076 Tübingen

Das ehemalige Standortlazarett der Wehrmacht auf dem Sand wurde bis 1982 als französisches Militärkrankenhaus genutzt.

Im Rahmen der verdeckten Kriegsvorbereitung baute die Wehrmacht von 1937 bis 1940 ein Standortlazarett auf dem Sand (am Denzenberg) in Tübingen-Lustnau. Der langgestreckte gelbe Bau nach Plänen von Regierungsbaumeister Hans Herkommer prägte mit seiner prominenten Lage das Stadtbild Tübingens. Im Zweiten Weltkrieg war das Lazarett Wirkungsstätte von Theodor Dobler. Der später als „Retter der Stadt Tübingen“ geehrte Dobler arbeitete unter widrigen Umständen in dem völlig überfüllten Krankenhaus.

Nach Kriegsende richtete die französische Besatzungsarmee ihrerseits ein Lazarett in dem modernen Krankenhaus ein, das Hôpital Émile Roux. Am 10. März 1946 nahm hier außerdem das Versorgungskrankenhaus für Schwerkriegsbeschädigte unter der Leitung von Dobler seinen Betrieb auf. In der Behandlung von Hirnverletzten wurde es bundesweit führend. Die Franzosen benutzten den vom Tal aus gesehen linken Gebäudeflügel, die Deutschen den rechten. In unmittelbarer Nähe entstand in den 1950er Jahren die Eberhard-Wildermuth-Siedlung für „Heimatvertriebene“ und Tübinger, deren Gebäude von den Franzosen beschlagnahmt worden waren.

Als das französische Krankenhaus 1982 aufgegeben wurde, zog die Bundeswehr auf den Sand. 1986 wurde das Versorgungskrankenhaus endgültig geschlossen. Seit 1990 ist hier ein Teil des Wilhelm-Schickard-Instituts für Informatik der Universität Tübingen untergebracht. Inzwischen beherbergt das Gebäude auch die Astronomie und das Institut für Kriminologie. Die 1946 erbaute Krankenhauskapelle wird von der Rumänisch-Orthodoxen Gemeinde St. Georg als Gotteshaus genutzt.

Jonathan Schilling

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Dobler
Dobler

Theodor Dobler (1893–1973) war Sanitätsarzt in Tübingen. Zusammen mit einigen Mitstreitern verweigerte er sich dem Aufruf zum unbedingten Widerstand. Er war daher maßgeblich daran beteiligt, dass Tübingen unzerstört blieb und kampflos an die französische Armee übergeben wurde. Bereits 1945 wurde eine Straße auf dem Österberg nach ihm benannt. Seit 1946 leitete er das Versorgungskrankenhaus auf dem Sand. (F.R.)


14 Leibniz-Kolleg

Leibniz-Kolleg, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Leibniz-Kolleg, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Studierende im Leibniz-Kolleg, 1954, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Studierende im Leibniz-Kolleg, 1954, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Ehemalige Deutsche Burse, seit 1948 Leibniz-Kolleg
Ehemalige Deutsche Burse, seit 1948 Leibniz-Kolleg, Foto: Kleinfeldt, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

14 Leibniz-Kolleg

Brunnenstraße 34, 72074 Tübingen

Das Leibniz-Kolleg bereitete begabte Schulabgänger auf ein Studium vor. Es folgte einem Grundprinzip französischer Umerziehungspolitik: Demokratisierung durch Bildung.

Das Leibniz-Kolleg entstand 1948 als ein interdisziplinär ausgerichtetes Internat. Es bezog die 1928 von Paul Schmitthenner als Wohnheim für „auslandsdeutsche Studenten“ erbaute Deutsche Burse. Heute bietet das Leibniz-Kolleg unentschlossenen Schulabgängern mit einem einjährigen Studienprogramm Einblicke in verschiedene Studienfächer. Diese Idee entstand aber erst Anfang der 1950er Jahre. In den ersten Jahren hatte das Kolleg eine andere Aufgabe: Wer noch nicht zur Immatrikulation zugelassen worden war, aber trotzdem herausragende Fähigkeiten zeigte, konnte hier seinen geistigen Horizont erweitern und sich auf ein Fachstudium vorbereiten.

Die französische Militärregierung unterstützte die Einrichtung des Kollegs, die sie als eine Antwort auf das Versagen von Bildung und Wissenschaft im Nationalsozialismus verstand. So zielten die Lehrveranstaltungen und die selbstverwaltete Organisationsform des Hauses darauf, junge Menschen zum selbständigen Denken zu erziehen und ihnen Werte wie Demokratie, Toleranz, Freiheit, Mut zur Meinungsäußerung und Zivilcourage zu vermitteln. Als Instrument der Umerziehung sollte das Kolleg damit direkt in die Universität hineinwirken und zur Entstehung einer neuen intellektuellen und politischen Führungsschicht in Deutschland beitragen, die für eine Verständigung mit Frankreich eintrat.

In der Nachkriegszeit entstanden vergleichbare Einrichtungen in anderen deutschen Städten, so zum Beispiel das Collegium Academicum in Heidelberg. Doch trotz seiner Ausgliederung aus dem Universitätsverband 1972 ist das Tübinger Leibniz-Kolleg als einzige dieser Einrichtungen bis heute erhalten geblieben.

Andreea Minca

Weiterführend:
Michael Behal (Hg.): Studium generale, studium sociale. Das Leibniz-Kolleg 1948–1998, Tübingen (Leibniz-Kolleg) 1998.

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13 Kreiskommandantur

Wilhelmstraße 24
Wilhelmstraße 24, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Kreiskommandantur der französischen Militärregierung, Wilhelmstraße 24, Oktober 1945
Kreiskommandantur der französischen Militärregierung, Wilhelmstraße 24, Oktober 1945, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Kreisleitung der NSDAP, Wilhelmstraße 24
Mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Kreisleitung der NSDAP, Wilhelmstraße 24, Foto: Eugen Rühle, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

13 Kreiskommandantur

Wilhelmstraße 24, 72074 Tübingen

Das ehemalige Domizil der NSDAP-Kreisleitung wurde zum Sitz des französischen Militärgouverneurs für den Landkreis Tübingen.

Bis April 1945 beherbergte das Gebäude in der Wilhelmstraße 24 die Kreisleitung der NSDAP. Während der Besatzungszeit diente es als Sitz der französischen Kreiskommandantur. Die Militärregierung beabsichtigte eine strenge Kontrolle der deutschen Behörden, auch auf den unteren Verwaltungsebenen. Die wichtigste Kontrollebene für die Militärbehörden waren die Landkreise. Besondere Bedeutung fiel deshalb den Kreisgouverneuren (Délégués du cercle) zu. Deren Aufgabe war vor allem die Kontrolle der deutschen Landräte. Sie sammelten Informationen, beobachteten die Stimmung innerhalb der deutschen Bevölkerung und kümmerten sich darum, dass die Anweisungen der Militärregierung umgesetzt wurden. Außerdem erfüllten sie repräsentative Funktionen, besuchten Sitzungen kommunaler Gremien und nahmen am gesellschaftlichen Leben teil. Durch ihren ständigen Kontakt mit deutschen Vertretern und Instanzen entwickelten die Kreisgouverneure oft ein besonders gutes Verständnis für die drängenden Probleme der einheimischen Bevölkerung. Häufig setzten sie sich bei den übergeordneten Dienststellen für lokale Interessen ein und wiesen mit Nachdruck auf Probleme und Fehlentwicklungen hin. Ihr Einsatz wurde daher in der Regel auch von deutscher Seite anerkannt und geschätzt. So leisteten die Kreisgouverneure durch ihre Vermittlerrolle einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen Franzosen und Deutschen.

Das Amt des Kreisgouverneurs von Tübingen wurde mehrfach neu besetzt. Am längsten blieb Colonel Henri Brochu, der von August 1947 bis Dezember 1950 amtierte. Zu seinem Abschied schrieb das Schwäbische Tagblatt: „Er scheidet als Freund“. Mit dem Ende des Besatzungsstatuts endete auch die Arbeit der Kreisgouverneure. In der Wilhelmstraße 24 befindet sich heute das Ordnungsamt der Stadt Tübingen.

Lukas Kuhn

Weiterführend:
Wolfgang Sannwald: Trikolore, Kreisgouverneur und kahle Wälder. Die französische Militärverwaltung und der Landkreis Tübingen, in: ders. (Hg.): Persilschein, Käferkauf und Ab-schlachtprämie. Von Besatzern, Wirtschaftswunder und Reformen im Landkreis Tübingen, Tübingen (Verlag Schwäbisches Tagblatt) 1998, S. 41–60.

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Henri Brochu, um 1950
Henri Brochu, um 1950, Bildausschnitt, Foto: Alfred Göhner, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

Henri Brochu war von 1947 bis 1950 Gouverneur des Landkreises Tübingen. Er pflegte guten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung und setzte sich für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit ein. Sein entschlossenes Handeln während der Hungerkrise von 1947 brachte ihm besondere Anerkennung. (F.R./P.H.)

12 Kunstgebäude

Alte Archäologie
Alte Archäologie, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Eingang des Tübinger Kunstgebäudes in der Wilhelmstraße, 1946
Eingang des Tübinger Kunstgebäudes in der Wilhelmstraße, 1946, Foto: Carl Näher, Bildrechte: Stadtarchiv Reutlingen
Plakat für die Ausstellung „Chefs d’Œuvre Retrouvés“
Plakat für die Ausstellung „Chefs d’Œuvre Retrouvés“ im Kunstgebäude, 22. September bis 1. Dezember 1946, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen

12 Kunstgebäude

Wilhelmstraße 9, 72074 Tübingen

Das Kunstgebäude in der ehemaligen Antiken-Sammlung war in den Nachkriegsjahren ein kulturpolitisches Schaufenster der französischen Besatzungsmacht.

Der klassizistische Bau der Alten Archäologie wurde gemeinsam mit der Neuen Aula geplant und 1846 fertiggestellt. Seit den 1870er Jahren wurde das Gebäude mehrfach umgebaut und erweitert. Vor dem Zweiten Weltkrieg beherbergte es das Hygiene-Institut und die Antiken-Sammlung des Archäologischen Instituts. In den Kellerräumen wurden während des Krieges polnische, russische und wohl auch einige französische Zwangsarbeiter gefangen gehalten.

Nach dem Krieg war dieser Ort für kurze Zeit ein Leuchtturm der bildenden Künste. Von Herbst 1945 bis Frühjahr 1949 wurden im sogenannten Tübinger Kunstgebäude insgesamt 23 Ausstellungen präsentiert, zu denen etwa 110.000 Besucher kamen. Sie sahen die erste Otto-Dix-Ausstellung in Deutschland seit 1930 und eine Gesamtschau wichtiger deutscher Vertreter der klassischen Moderne. Die sechsmonatige Ausstellung „Meisterwerke aus den Kölner Museen und der Württembergischen Staatsgalerie Stuttgart“ war mit 42.000 Besuchern der größte Publikumserfolg. Sie wurde dadurch möglich, dass viele der Exponate aus neun Jahrhunderten Kunstgeschichte zum Schutz vor Kriegsschäden nach Südwürttemberg ausgelagert worden waren. Neben dem Theater, dem Kino und der Musik wurde somit auch die bildende Kunst zu einem Schwerpunkt französischer Kulturpolitik in Tübingen. Die Kunsthalle und ihr Kurator Gustav Adolf Rieth verfolgten auch ein pädagogisches Ziel. Sie wollten den Deutschen vor allem jene Kunst nahebringen, die zuvor von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt worden war. Wie erfolgreich diese Bemühungen waren, ist schwer zu sagen. Nicht wenige Besucher dürften von den gezeigten Werken überfordert gewesen sein.

Das Kunstgebäude schloss seine Türen im Mai 1949. Ambitionierte Pläne für eine Staatsgalerie in Tübingen waren gescheitert. Durch die Währungsreform war das Geld knapper geworden. Die Besucherzahlen gingen stark zurück. Außerdem forderte die Universität das Gebäude mit wachsender Vehemenz für das Archäologische Institut zurück. Erst seit 1971 sollte es mit der Kunsthalle wieder einen festen Ausstellungsort für bildende Kunst in Tübingen geben. Die Alte Archäologie beherbergt heute Seminarräume und Verwaltungseinrichtungen der Universität.

Lukas Kuhn

Weiterführend:
Edgar Lersch: Das Kulturleben in der Stadt Tübingen vom Zusammenbruch bis zur Währungsreform (1945–1948), in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 43 (1984), S. 327–354.


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11 Neue Aula

Neue Aula
Neue Aula, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Gouverneur Guillaume Widmer
Gouverneur Guillaume Widmer (links vorne) mit weiteren französischen Militärangehörigen vor der Neuen Aula, Bildrechte: Schwäbisches Tagblatt
René Cheval, General Marie-Pierre Koenig und Rektor Theodor Steinbüchel in der Neuen Aula, 5. Juli 1946
René Cheval, General Marie-Pierre Koenig und Rektor Theodor Steinbüchel (von links nach rechts) in der Neuen Aula, 5. Juli 1946, Foto: Rotophot, Bildrechte: Stadtarchiv Reutlingen

11 Neue Aula

Geschwister-Scholl-Platz, 72074 Tübingen

Die Neue Aula war Mittelpunkt des seit Oktober 1945 wiedererwachten akademischen Lebens. Sie wurde auch von der Besatzungsverwaltung und als Gerichtsgebäude genutzt.

Als eine der ersten deutschen Hochschulen wurde die Universität Tübingen am 15. Oktober 1945 wiedereröffnet. In seiner Ansprache im Festsaal der Neuen Aula erinnerte Gouverneur Guillaume Widmer an die Verfehlungen der Wissenschaft im Nationalsozialismus. Gleichzeitig wies er den anwesenden Professoren und Dozenten eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Aufgabe zu: „Die Welt hat an einer eigentümlichen Krankheit gelitten, an einer Seuche, die es zu heilen gilt. Das ist die Aufgabe, meine Herren, die Sie jetzt übernehmen. […] Das demokratische Ideal lässt sich nicht ohne Erziehung verwirklichen. Hier ist es wiederum die Universität, die die Führerin der Suchenden sein soll.“

Über 3.000 Studierende waren im ersten Nachkriegssemester immatrikuliert. Tausende Bewerber wurden abgewiesen. Nur ein Teil der alten Universitätsgebäude stand zur Verfügung. Die Institutsbibliotheken waren ausgelagert. Im Zuge der Entnazifizierung hatten 30 Dozenten ihre Lehrbefugnis verloren. Andere waren im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten. Mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Militärregierung und ihres Verbindungsoffiziers René Cheval konnten bald einige berühmte neue Professoren gewonnen werden, unter ihnen der Religionsphilosoph Romano Guardini, der Theologe Helmuth Thielicke, der Biochemiker Adolf Butenandt und der Pädagoge Eduard Spranger.

Die Neue Aula war der Mittelpunkt des wiedererwachten akademischen Lebens. Im November 1945 sorgte der Theologe Karl Barth hier für Aufsehen, als er in einem Vortrag auf die kollektive Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus hinwies. Dank der kostenlosen „Hoover-Speisung“ konnten die Studierenden in der Neuen Aula allerdings nicht nur ihren geistigen, sondern auch ihren leiblichen Hunger stillen. Auch für die Stadt Tübingen und das Land Württemberg-Hohenzollern war das Gebäude wichtig: In den Senatsräumen besprachen sich die Vertreter der Militärregierung. Ab Juni 1946 tagten hier außerdem das Oberlandesgericht und der Landesrechnungshof, da das Justizgebäude von den Besatzungsbehörden genutzt wurde.

Zusammen mit mehr als 70 anderen Straßen in Tübingen erhielt auch der Platz vor der Neuen Aula im August 1945 einen neuen Namen: Als „Schollplatz“ (später: Geschwister-Scholl-Platz) sollte er den damals kaum bekannten Widerstand der „Weißen Rose“ würdigen und den Tübinger Studenten ein Vorbild für Zivilcourage und demokratisches Bewusstsein aufzeigen.

Jonathan Schilling/Johannes Großmann

Weiterführend:
Manfred Schmid/Volker Schäfer (Bearb.): Wiedergeburt des Geistes. Die Universität Tübingen im Jahre 1945, Tübingen (Universitätsarchiv) 1985.

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Guillaume Widmer vor der Neuen Aula
Guillaume Widmer vor der Neuen Aula, Bildausschnitt, Bildrechte: Schwäbisches Tagblatt
Guillaume Widmer (1906–1968) war von 1945 bis 1952 französischer Gouverneur von Württemberg-Hohenzollern. Der frühere Bankier diente von 1939 bis 1941 in Indochina. Später war er im Widerstand gegen die deutsche Besatzung aktiv. Während seiner Amtszeit entwickelte sich Tübingen zum administrativen und kulturellen Zentrum von Württemberg-Hohenzollern. Seit 1954 war er Beamter im französischen Verteidigungsministerium. (F.R.)

René Cheval, 1946
René Cheval, 1946, Bildausschnitt, Foto: Rotophot, Bildrechte: Stadtarchiv Reutlingen
René Cheval (1918–1986) war ein französischer Germanist. 1945 kam er im Alter von nur 26 Jahren nach Tübingen. Als Verbindungsoffizier kümmerte er sich um die Entnazifizierung der Universität und sorgte für die Wiederbelebung des akademischen Austauschs. Als Leiter des Centre d’Études Françaises kooperierte er seit 1948 eng mit dem Romanischen Seminar der Universität. 1951 wurde er erster Leiter Institut Français in Stuttgart. (M.O./F.R.)

10 Französischer Friedhof

Ehemaliger französischer Militärfriedhof
Ehemaliger französischer Militärfriedhof, heute Parkplatz hinter dem Kupferbau, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Französischer Militärfriedhof, Mai 1946
Französischer Militärfriedhof, Mai 1946, Foto: Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg

10 Französischer Friedhof

Gmelinstraße 5A, 72076 Tübingen

Hinter dem heutigen Kupferbau befand sich in den Nachkriegsjahren ein französischer Militärfriedhof. Die meisten Gräber wurden schließlich nach Frankreich umgebettet.

Unmittelbar nach Kriegsende wurde neben dem Stadtfriedhof an der Gmelinstraße ein Friedhof für französische Soldaten eingerichtet. Hier wurden zunächst Soldaten beigesetzt, die in den Tagen vor und nach der Einnahme Tübingens gestorben waren. In den folgenden Wochen und Monaten wurde der Friedhof weitergenutzt, so dass er bald mehr als 100 Gräber umfasste. Bestattet wurden unter anderem auch marokkanische und senegalesische Kolonialsoldaten, offenbar auch mehrere Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Die letzte bekannte Beisetzung fand 1948 statt. Bis Anfang der 1950er Jahre wurden die meisten Toten zurück in ihre Heimat überführt. 1952 waren noch acht Gräber übrig – fast alle von afrikanischen Soldaten, um deren Rückführung sich niemand gekümmert hatte. Außerdem gab es noch etwa 50 Kindergräber. Die Väter dieser Kinder waren in der Regel Angehörige der Besatzungsmacht, ihre Mütter deutsche Frauen. Die französische Militärverwaltung war nicht bereit, diese Kindergräber nach Frankreich umzubetten.

Seit Anfang der 1950er Jahre interessierte sich die Tübinger Stadtverwaltung für das Gelände. Sie wollte dort einen Kindergarten errichten. Im Gespräch für eine Nachnutzung waren außerdem die Anlage eines Parks und der Bau einer evangelischen Kirche. Diese Pläne scheiterten letztlich, da sich die Stadt mit der Besatzungsmacht nicht über eine geeignete Ausweichfläche für den Friedhof verständigen konnte. Die französische Armee wollte Kriegsgräber aus der ganzen Region nach Tübingen verlegen und hier eine Art französischen Zentralfriedhof für Württemberg-Hohenzollern einrichten. Die Stadt Tübingen erklärte sich zwar zunächst bereit, ein Areal auf dem Bergfriedhof zur Verfügung zu stellen und die Kosten für die Umbettung der verbliebenen acht Gräber zu übernehmen. Jedoch forderten die Franzosen schließlich Platz für bis zu 250 Gräber. Der städtischen Verwaltung ging das zu weit. Sie gab das Vorhaben auf und machte sich auf die Suche nach einem anderen Standort für den Kindergarten. Auf dem Gelände zwischen Kupferbau und Stadtfriedhof befindet sich heute ein Parkplatz.

Lukas Kuhn

Weiterführend:
Udo Rauch/Antje Zacharias (Hg.): Sieben Jahre Landeshauptstadt. Tübingen und Württemberg-Hohenzollern 1945 bis 1952, Tübingen (Kulturamt) 2002.


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9 Alte Frauenklinik

Alte Frauenklinik
Alte Frauenklinik, Herbst 2015, Foto: Bernhard Kleeschulte
Frauenklinik, 1951, Foto: vermutlich Gebrüder Metz, Scan vom Farbnegativ, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Frauenklinik, 1951, Foto: vermutlich Gebrüder Metz, Scan vom Farbnegativ, Bildrechte: Stadtarchiv Tübingen
Haus der Akademischen Gesellschaft Rothenburg in der Schlossbergstraße 23
Haus der Akademischen Gesellschaft Rothenburg in der Schlossbergstraße 23, Postkarte der Gebrüder Metz, Bildrechte: Haus der Geschichte Baden-Württemberg

9 Alte Frauenklinik

Schleichstraße 4–8, 72076 Tübingen

In der Frauenklinik ließen sich 1945 zahlreiche Frauen behandeln, die von französischen Soldaten vergewaltigt worden waren.

Vor allem in den ersten Tagen nach dem Einmarsch wurden zahlreiche Tübinger Frauen von französischen Soldaten vergewaltigt. Eine Zeitzeugin berichtete: „Überall in Tübingen konnte man Frauen und Mädchen laut um Hilfe schreien hören. Wir hatten alle furchtbare Angst.“ Viele hielten sich tagelang versteckt. Einige setzten sich mutig zur Wehr. Trotzdem war die Bilanz erschreckend. Bis Mitte September 1945 ließen sich in der Tübinger Frauenklinik 977 Opfer sexueller Gewalt untersuchen. Knapp 400 stammten aus dem Stadtgebiet. Zwei Drittel von ihnen waren im Zeitraum zwischen dem 19. April und dem 8. Mai vergewaltigt worden. Die Frauen kamen zur Behandlung, weil sie Angst vor Geschlechtskrankheiten hatten oder schwanger wurden. Wie viele schwiegen oder sich andernorts behandeln ließen, lässt sich kaum abschätzen.

Sexuelle Gewalt ist ein geläufiges Kriegsphänomen, das beim alliierten Einmarsch fast überall in Deutschland auftrat. Auch deutsche Soldaten vergewaltigten im Zweiten Weltkrieg Millionen von Frauen. Dennoch deuteten viele Tübinger die Übergriffe als Charaktereigenschaft der französischen Besatzer und ihrer Kolonialtruppen. Angesichts rigoroser Zensur verschmolzen die apokalyptischen Prophezeiungen der nationalsozialistischen Propaganda mit tatsächlich Erlebtem und Gerüchten zum rassistischen Zerrbild des „marokkanischen“ Vergewaltigers. Bezeichnenderweise zählte die Hautfarbe der Täter zu den Kriterien, auf deren Grundlage die Ärzte mit städtischer Vollmacht über Abtreibungen entschieden. Einige „Besatzungskinder“ wurden offenbar auf dem Französischen Militärfriedhof bestattet.

Zwar drohte Vergewaltigern die Todesstrafe. Doch solange der Krieg andauerte und die Militärverwaltung nicht fest etabliert war, konnten Täter kaum gefasst werden. Um die Übergriffe einzudämmen, drängte die Besatzungsmacht auf die Einrichtung sogenannter Maisons de Tolérance. Hier sollten sich Frauen „ohne Zwang“ für Besatzungssoldaten prostituieren. Lizenzierte Bordelle waren in Frankreich noch bis 1946 gesetzlich geregelte Praxis. Sie sollten eine Kontrolle der Prostituierten ermöglichen und die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten verhindern. Kurzzeitig existierte wohl auch eines dieser Bordelle im Verbindungshaus Rothenburg auf dem Schlossberg. Die Tübinger interpretierten dies allerdings nicht als eine Abwendung weiteren Schadens, sondern als einen Angriff auf ihr bürgerliches Moralempfinden.

Johannes Großmann

Weiterführend:
Elke Gaugele: „Nun sollten wir zu spüren bekommen, was Erobertwerden heißt“. Erfahrungen von Frauen im Landkreis Tübingen beim Einmarsch der französischen Besatzungstruppen, in: Tübinger Blätter 82 (1996), S. 28–32.

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